«Architektinnen und Architekten sind Generalisten mit hervorragender Analysefähigkeit»

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20.05.2025
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Tina Cieslik
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«Architektinnen und Architekten sind Generalisten mit hervorragender Analysefähigkeit»
Beschreibung

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Gleichzeitig wählen viele Studienabgängerinnen und -abgänger im Fach Architektur alternative Berufswege. Wie positioniert sich der SIA zum Thema Bildung in der Architektur? Wir trafen Lea Prati, Verantwortliche für das Ressort Bildung in der Berufsgruppe Architektur, zum Gespräch.

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Frau Prati, Sie sind seit bald zwei Jahren in der Berufsgruppe Architektur BGA des SIA für die Bildung zuständig. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Lea Prati: 2022, bei der ersten Ausgabe des damals neu lancierten SIA Masterpreises, war ich Teil der Jury. So bin ich in Kontakt mit der Berufsgruppe Architektur gekommen. Das Ressort Bildung von meinen Vorgän­gerinnen Jacqueline Pittet und Astrid Dettling-Péléraux zu übernehmen, hat sich dann fast automatisch über meine Tätigkeit und mein Interesse an der Lehre ergeben: Nach dem Studium war ich selbst in der Lehre tätig, an der Hochschule Luzern und an der Accademia di Mendrisio.


Bildung ist eines der sechs Kernthemen im SIA. Fokussiert der SIA hier eher auf die Praxis und die Weiterbildung der Berufsleute oder beginnt das schon bei der Ausbildung?

Ich denke, hier hat es in den letzten fünf Jahren eine Entwicklung gegeben. Vor allem vor dem Hintergrund der Klimakrise ist dem SIA bewusst, dass die Bildung – also sowohl die Aus- als auch die Weiterbildung – für die Zukunft der Branche und der Gesellschaft extrem relevant ist. Die Schweizer Bauwirtschaft verursacht jährlich rund 11 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente und über 80 % des Schweizer Abfalls. Die Planerinnen und Planer im Hinblick auf klimaverträg­lichere Bauweisen zu schulen, ist also ein mächtiger Hebel im Kampf gegen den Klimawandel.


Was bedeutet das konkret? Bringt sich der SIA in die Ausbildung an den Hochschulen ein?

Der Kontakt zu den Hochschulen ist eine Verbindung, die wichtig ist und die wir aktivieren sollten. Das ist «next on the list» für mich. Es geht darum, im Dialog zu bleiben. Der SIA Masterpreis Architektur wurde 2022 eben genau deshalb neu lanciert, um eine Brücke zwischen Ausbildung und Praxis zu schlagen.


Gibt es noch Weiteres, das auf dieser Liste steht?

Das Ressort Bildung der BGA hat mit einem Projekt begonnen, das die gesamte Bildungslandschaft der Schweiz im Bereich Architektur aufzeigen soll. Denn neben der traditionellen akademischen Architekturausbildung gibt es eine ganze Palette an verwandten Berufen, etwa in der Bauherrinnenvertretung, in der Immobilienbranche oder auch auf der vor-akademischen Ebene, zum Beispiel bei den Lehrberufen.
Es ist wichtig, zu zeigen, was alles möglich ist in diesem Fachgebiet, damit sich Interessierte ein Bild machen können – für ihre Ausbildung, aber auch für danach. Den klassischen Weg – Studium an einer Hochschule, arbeiten in einem Architekturbüro oder den Sprung in die Selbstständigkeit – wählt heute nur noch ein Teil der Studienabgängerinnen und -abgänger. Durch eine solche Übersicht würde sich auch das Bild der Architektin, des Archi­tekten diversifizieren.


Sie erwähnten, dass viele Architekturstudierende letztendlich nicht als Architektin, als Architekt arbeiten – eine Tatsache, die vor Kurzem durch eine Studie in Frankreich sichtbar gemacht wurde. Gibt es seitens SIA Zahlen, wie es diesbezüglich in der Schweiz aussieht?

Das ist tatsächlich eher mein subjektiver Eindruck als praktizierende Architektin. Inte­ressanterweise erlebe ich oft, dass diejenigen, die nicht den klassischen Bildungsweg beschritten haben, im Architekturbüro bleiben und jene, die eine konventionelle Karriere gewählt haben, in verwandten Berufen landen, etwa als Bauherrschaftsvertretung oder in einer Behörde. Das kann ein toller Karriereweg sein, dieser Beruf hat viele Facetten.
 

Sie haben ein eigenes Büro und damit auch mit Absolventinnen und Absolventen zu tun, die direkt von den Hochschulen kommen. Wie schätzen Sie die aktuelle Ausbildung ein, aus Sicht der Praxis?

Ich glaube, die aktuelle Ausbildung repräsentiert, was wir gerade erleben: Es ist eine Zeit der Transformation, es gibt Unsicherheiten, aber es tun sich auch neue Möglichkeiten auf. Die Studierenden können sich an der Hochschule ohne den Druck der Ökonomie gewissen Fragen stellen – das ist ein Glück. Aber ebenso wie wir Berufsleute zweifeln sie auch und möchten herausfinden, was Architektur in diesen Zeiten bedeuten kann. Und das ist gut so.
Ich habe einen engen Bezug zur ETH Zürich, ich kenne die grosse intellektuelle Arbeit, die dort geleistet wird. Wohnungsnot, Ökologie, all diese Fragen werden dort aufgeworfen. Auch auf einer theoretischen Ebene, was ich richtig finde – wir müssen denken, um handeln zu können.


Christoph Gantenbein, Vorstandsmitglied des Architekturrats, sagte in einem Interview zum SIA Masterpreis Architektur, dass die Kommunikationsaufgaben der Architekten in den letzten Jahren stark zugenommen haben.  Es gelte, verschiedene Stakeholder an einen Tisch zu bringen und Inhalte zielgruppengerecht transportieren zu können. Möglicherweise müsste man diese Qualität in der Ausbildung hervor­heben – in dem Sinn, dass es neben Konstruktion und Entwurf auch um die Methoden geht, sich Problemen zu nähern.

Architektinnen und Architekten sind unglaublich gute Generalisten mit einer hervorragenden Analysefähigkeit. Das ist eine Kompetenz, die sich in vielen Situationen anwenden lässt. Unter anderem liegt das daran, dass wir die Neugier pflegen, auch und vor allem an den Hochschulen. Man hinterfragt Dinge, sucht selbst, kommt auf eine Quelle, entdeckt spannende Verbindungen. Diese Methodik lässt sich in vielen Berufs­profilen einsetzen. Und das kann man durchaus auch als kreative Arbeit ansehen.


Aktuell steht der SIA Masterpreis Architektur vor seiner vierten Durchführung. Sie sind von Anfang an dabei, zunächst als Jurymitglied, dann als Teil der BGA. Haben Sie eine Anregung, was man bei der Auszeichnung verbessern könnte?

Der SIA Masterpreis Architektur ist eine wichtige Auszeichnung und hat in den letzten Jahren einen repräsentativen Überblick über die Architekturlehre in der Schweiz geliefert. In vielen der eingereichten Arbeiten steckt eine grosse intellektuelle Leistung, die im Rahmen der Jurierung zu angeregten Diskussionen führte. Ich würde mir wünschen, dass einige dieser Debatten den Weg in die Öffentlichkeit finden und mit der interessierten Allgemeinheit geführt werden könnten. Die Ausstellung «Sign of the Times» im Schweizerischen Architekturmuseum S AM im vergangenen Jahr war ein erster Schritt, aber ich würde mir wünschen, dass das noch intensiver stattfindet. Und dass man anhand des Masterpreises ganz allgemein über die Bildung in der Architektur sprechen würde. Vielleicht könnten wir nach fünf Jahren SIA Masterpreis ein Symposium durchführen, an dem wir diese Punkte thematisieren. Das wäre spannend.

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Jury 2025

Anne Marie Wagner, Basel
Jan Kinsbergen, Zürich
Jeanne Wellinger, Lausanne
Manuel Burkardt, Zürich
Marco Zünd, Basel
Pauline Sauter, Preisträgerin 2024
Pia Durisch, Massagno
Rolf Mühletaler, Bern
Vincent Rapin, Vevey